Am Freitag, 17. Juni ab 19 Uhr begrüßen wir wieder das Institut für Chaos. Die Störung geht weiter, doch lest am Besten selbst…
17.06.2022, 19:30 Uhr:
Andrea Messner | Black out oder Zurück in die Zukunft
In den letzten Jahren wird vermehrt über die mangelnde Sichtbarkeit bestimmter Gruppen in der kanonischen Geschichtsrekonstruktion, in Schulbüchern, durch Denkmäler und Straßennamen – sowie über die impliziten und expliziten Folgen davon – diskutiert. Bücher werden geschrieben und umgeschrieben. Statuen werden gestürzt und aufgebaut. Prominent hat zuletzt die Black-Lives-Matter-Bewegung die tiefgreifende Verbindung zwischen geschichtlicher Erinnerung und aktuellen Anerkennungszusammenhängen adressiert.
Welche Geschichte wir uns erzählen, geht über unser Verständnis der Vergangenheit hinaus. Was erinnert wird, hat – im doppelten Sinne – Bedeutung für die Gegenwart. Geschichte ist ein umkämpftes Feld. Seit jeher wurden Versuche unternommen, sich aktiv und widerständig in das Rekonstruktionsgeschehen der Geschichte einzuschreiben und die hegemoniale Geschichtsaneignung mit ihren Legitimationszusammenhängen infrage zu stellen. Diese Versuche sind nicht nur in die Vergangenheit blickende historiographische Bemühungen, sondern zielen auch auf eine Veränderung für die Gegenwart, in der sie formuliert werden; sie zielen auf eine Perspektiv- bzw. Haltungsverschiebung, auf Wandel. Jenseits jedes Geschichtsrevisionismus werden der kanonisch erinnerten „Geschichte“ „Gegen-Geschichten“ gegenübergestellt mit der Intention zu stören, verstören, zerstören.
An diesem Abend wollen wir eine kleine (Wieder-Entdeckungs-)Reise von der biblischen Figur der Eva zu Black-Lives-Matter unternehmen und anhand einiger Fallbeispiele gemeinsam der Frage nachgehen, warum eine andere Interpretation der Geschichte auch einen anderen Blick auf die Gegenwart einfordert; wie die Wieder-Entdeckung und Re-Lektüre historischer Figuren ein emanzipativer Störfaktor gegenwärtiger Unterdrückungsverhältnisse sein kann; was das Erinnern von „Gegen-Geschichte(n)“ vermag.
Bio
Andrea Messner hat Philosophie, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in München, Rom, Berlin und St. Andrews studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied des GRKs Normativität, Kritik, Wandel, wo sie in ihrer Doktorarbeit das kritische Potential von „Gegen-Geschichte(n)“ untersucht. Nebenbei arbeitet Andrea als freie Übersetzerin; in Kürze erscheint im Freigeist Verlag Berlin das von ihr ins Deutsche übersetzte Buch Dostojewski. Philosophie, Roman und religiöse Erfahrung des italienischen Philosophen Luigi Pareyson.
Zum Institut für Chaos:
Nach zwei Jahren der Entsagung ist das Institut für Chaos endlich wieder zurück mit einer neuen Veranstaltungsreihe. In diesem Jahr wollen wir uns mit dem Phänomen der Störung auseinandersetzen. Das oft negativ konnotierte Konzept führt uns an die Grenzen der Normalität und erlaubt es uns, einen reflektierenden Blick auf unsere gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen zu werfen. Wir fragen nach der Konstitution der Störung und wollen versuchen, zu verstehen, warum manche Dinge als Störung bezeichnet werden und andere nicht. Was drückt das Phänomen der Störung konkret aus? Was wird eigentlich gestört? Sind Störungen ausschließlich negativ zu verstehen? Gemeinsam mit Expert*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachrichtungen wollen wir diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund gehen. Im Anschluss an die Vorträge sind alle eingeladen den Abend bei einem gemeinsamen Getränk an der Bar ausklingen zu lassen.
Wir freuen uns auf euch. Und: wer nicht gestört werden möchte, ist schon gestört.